

Im Gespräch mit Daniel Oberhänsli
Dass TREUHAND|SUISSE seine Mitglieder verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschliessen, kommt nicht von ungefähr. Das Risiko, mit berechtigten oder unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, nimmt zu. Die Treiber dafür sind vielfältig: technologische Entwicklungen, höhere fachliche Komplexität oder auch schlicht der zunehmende Reflex von Mandanten, bei Schwierigkeiten den schwarzen Peter ans Beratungsunternehmen weiterzureichen.
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Herr Oberhänsli, die Mitglieder von TREUHAND|SUISSE müssen eine Berufshaftpflichtversicherung vorweisen. Was halten Sie davon?
Das ist sehr sinnvoll. Für den Treuhänder, die Treuhänderin ist es in erster Linie ein Bilanzschutz. Ein Sicherheitsnetz, wenn unvorhergesehen ein Schadenfall eintritt. Es beinhaltet auch einen passiven Rechtsschutz, eine Stütze bei der Abwehr von unbegründeten Ansprüchen. Man profitiert von einer professionellen Schadenbegleitung durch den erfahrenen Rechtsdienst des Versicherers, welcher schon viele ähnlich gelagerte Schadenfälle reguliert oder auch abgewehrt hat.
Haben Treuhandfirmen besondere Risiken?
Die Risiken der Treuhandbranche sind ähnlich gelagert wie in der Finanzbranche, der Versicherungsbranche oder bei Anwälten. Es gehört zu den Eigenheiten dieser freien Berufe, dass man zwar im Interesse des Kunden tätig ist, aber der Erfolg nicht automatisch garantiert ist. Es ist nicht wie bei einem Bauunternehmer. Da steht am Schluss das Gebäude da und zwar so wie man es vereinbart hat. Und wenn nicht, dann ist relativ klar, was man einfordern kann. Wenn ein Treuhänder aber zum Beispiel eine Nachfolgelösung begleitet, heisst das nicht automatisch, dass sie gelingt oder dass der Wunschpreis für einen Verkauf erzielt wird. Dazu kommt, dass die Anforderungen an die Treuhandberatung immer komplexer werden.
Woran denken Sie?
Treuhandberatung deckt viele Themenfelder ab. Und in jedem Gebiet nimmt die Komplexität zu, sind laufende Gesetzesanpassung oder neue Praxishandhabungen zu bewältigen. Einige dieser Themengebiet sind schon à priori sehr anspruchsvoll: Wirtschaftsprüfung oder Steuerberatung im internationalen Kontext zum Beispiel; oder Firmennachfolgen, wo man sich aufgrund unterschiedlicher Bewertungsmethoden fallweise auf einem Minenfeld bewegt. Oder nehmen wir ein Beispiel, das auf den ersten Blick banal scheint: Wenn eine Treuhandfirma für den Auftraggeber die Lohnbuchhaltung übernimmt. Hier stellt die korrekte Handhabung der Sozialversicherungen hohe Ansprüche und Fehler können ernsthafte Folgen und Haftungsfragen nach sich ziehen.
«Wer unvorbereitet in ein Notfallszenario hineinschlittert, trägt heute ein höheres Haftungsrisiko.»
Die Versicherungsbranche muss neue Entwicklungen im Auge behalten und die passenden Produkte dafür entwickeln. Verraten Sie uns, was Sie an Neuerungen in der Pipeline haben?
Wir sprechen im Moment nicht von bahnbrechenden Neuerungen. Eher von allgemeinen Entwicklungen, die darauf hinauslaufen, dass bestehende Haftpflichtversicherungen angepasst und weiterentwickelt werden. Ein Thema, das an Bedeutung gewinnt, ist die Verfügbarkeit von IT-Systemen. Vermehrt sind Treuhandkunden an die IT-Lösung ihres Treuhänders angebunden, arbeiten also in seiner Cloud. Wenn diese Systeme ausfallen und/oder der Kunde blockiert ist, kommen rasch Haftungsfragen auf den Tisch. Auch die Handhabung des Datenschutzes, die immer anspruchsvoller wird, rückt in diesem Zusammenhang in den Fokus. Solche Fragen brauchen keine neue Versicherung, man kann sie mit einer Deckungserweiterung im Rahmen einer bestehenden Versicherungspolice angehen. Dann gibt es natürlich auch Entwicklungen, die zu einer Einschränkung der Deckung führen können.
Das müssen Sie erläutern.
Wir sprechen hier von übergeordneten Entwicklungen oder «höherer Gewalt», wenn Sie so wollen. So mussten wir zum Beispiel bei Beginn des Ukrainekrieges in bestehenden Verträgen Leistungen ausschliessen, die im Kontext mit Russland standen und zu Verstössen gegen die Sanktionen hätten führen können. Ein anderes Beispiel ist die Pandemie von 2020. Seit Corona finden Sie keine Versicherung mehr, die Ihnen einen Umsatzausfall bei einer Pandemie versichert. Weitere Themen, deren Entwicklung wir gegenwärtig stark im Auge behalten, sind der Erdbebenschutz in der Schweiz oder die «Ewigkeits-Chemikalien» PFAS. Bei Letzteren zeichnet sich derzeit ab, dass sie mit ernsthaften Risiken behaftet sind. Da könnte etwas Grosses auf die Industrie zukommen und man muss damit rechnen, dass die Versicherer früher oder später Ausschlüsse in ihre Haftpflichtverträge aufnehmen.
Sehen Sie neue Risiken, die ganz besonders Treuhandunternehmen betreffen könnten?
Neben den steigenden fachlichen Anforderungen, die ich erwähnt habe, ist auch die zunehmende Anspruchshaltung der Kundschaft ein Thema, zum Beispiel in der Revision. Wenn ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten kommt, kommt es immer häufiger zum Versuch, den schwarzen Peter reflexartig an die Revisionsstelle weiterzureichen. Da gerät man als Revisionsunternehmen aus heiterem Himmel ins Schussfeld. Ein anderes Risikofeld betrifft die Verantwortung und die Haftung von Verwaltungsräten. Die Verantwortlichkeiten – gerade auch im Hinblick auf eine finanzielle Schieflage des Unternehmens – werden immer anspruchsvoller. Wer unvorbereitet, also ohne Notfallszenario, in so etwas hineinschlittert, trägt heute ein höheres Haftungsrisiko.
«Neben steigenden fachlichen Anforderungen ist auch die zunehmende Anspruchshaltung der Kundschaft ein Thema.»
Ein Thema, bei dem es sicher noch Aufklärungsarbeit braucht, ist die Cyberkriminalität.
Immerhin, das Bewusstsein steigt allmählich. Die Frage ist heute nicht mehr, ob ein Unternehmen mit digitalen Attacken rechnen muss, sondern wann. Aber die IT-Sicherheit ist in vielen Fällen noch längst nicht auf dem Stand, auf dem sie sein sollte. Dabei sprechen wir einerseits von den technischen Vorkehrungen, aber auch vom Risikofaktor Mensch. Das geht Hand in Hand. Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeitenden sind enorm wichtig. Und es braucht ein vorbereitetes Notfallkonzept, das man im Ernstfall aus der Schublade ziehen und abspulen kann. Auch ein regelmässiges IT-Sicherheits-Assessment ist heute unerlässlich. Und dann möchte ich auf einen verbreiteten Irrtum hinweisen: Dass man seine IT für teures Geld in die Hände einer professionellen Firma gibt, heisst nicht automatisch, dass die Sicherheit maximal ist. Gerade sicherheitsrelevante Funktionen muss man oft zusätzlich in Auftrag geben und entschädigen. Wenn eigene Nachlässigkeit im Spiel ist, wird es schwierig, die Kosten eines digitalen Angriffs auf den Versicherer abzuwälzen…
Ein Hype herrscht derzeit auch um «künstliche Intelligenz» (KI). Was kommt da aus Ihrer Versicherungsoptik an neuen Risiken auf die Unternehmen zu?
Wir stellen unsere Kunden zu diesem Thema drei Fragen, die sich um die Haftungsproblematik drehen. Erstens: In welchem Gebiet wenden Sie KI an und sind diese Anwendungen von einer juristischen Fachperson auf Gesetzeskonformität geprüft? Zweitens: Gibt es Nutzungsbedingungen, die aus rechtlicher Sicht geprüft wurden und standhalten? Drittens: Ist vorgekehrt, dass der Endkunde diesen Nutzungsbedingungen zustimmen muss? Ein Hauptproblem beim Einsatz von KI ist ja, dass man nicht weiss, woher die Daten kommen, aus denen die KI etwas zusammenschustert. Stimmt es, was da steht? Daraus könnten sich Haftungsfragen ergeben, gegen die man sich wappnen muss. Weil das Thema noch so neu und jung ist, hatten wir bei uns bisher keine grossen Deckungsausschlüsse. Aber wir behalten das im Auge und fragen bei den Kunden genau nach, wie und wo sie KI einsetzen.
Sie sehen jeden Tag, was Unternehmen mit Blick auf Haftungsfragen alles falsch machen können. Haben Sie Tipps für die Mitglieder von TREUHAND|SUISSE was eine vorausschauende Unternehmensführung betrifft?
Mir gehen sechs Gedanken durch den Kopf:
- Treuhandfirmen sollten eine Spezialisierung anstreben. Mit steigender Komplexität nehmen die Risiken zu. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, von deren Subunternehmern eine Berufshaftpflicht zu verlangen. Manchmal ist es besser, wenn der Subunternehmer direkt mit dem Endkunden zusammenarbeitet.
- Ständige Weiterbildung ist unerlässlich, um mit den Gesetzesänderungen Schritt zu halten.
- Es braucht vorbereitete Notfallszenarien. Dies betrifft nicht nur die IT-Sicherheit, sondern auch andere Risiken, wenn zum Beispiel Schlüsselpersonen ausfallen oder ein Grosskunde wegfällt.
- Es ist unerlässlich, zu Auftragsbeginn mit dem Kunden immer klar zu vereinbaren, was der Auftrag und die Erwartungen sind.
- In diesem Zusammenhang braucht es Allgemeine Geschäftsbedingungen und einen Vertrag mit dem Kunden, der Rechte und Pflichten klarstellt.
- Treuhänderinnen und Treuhänder, die VR-Aufgaben übernehmen, müssen ihr Augenmerk vorausschauend auf die finanzielle Stabilität richten. In vielen Fällen ist auch ein Organisationsreglement sinnvoll. Die Behörden sind auf diesem Gebiet heute schmerzlos, wenn Versäumnisse seitens der Verwaltungsräte vorliegen.
Zur Person
Daniel Oberhänsli
eidg. dipl. Versicherungsfachmann, eidg. dipl. Finanzplanungsexperte,
Executive Diploma HSG Insurance Management, CAS Uni FR Versicherungs-/Baurecht
Partner Qualibroker AG, Zürich